Zassimova, Anna
Georges Catoire seine Musik, sein Leben, seine Ausstrahlung
Studia Slavica Musicologica, Bd. 49
Unbekannte Komponisten auszugraben und ihr Leben zu erforschen, ist zweifellos eine der schwierigsten wie zugleich auch attraktivsten musikologischen Tätigkeiten. In der Reihe Studia Slavica Musicologica, vom Ernst Kuhn Verlag herausgegeben, ist nun mit dem Band 49 eine solche Ausgrabung erfolgt oder zumindest der Grundstein für eine genauere Erforschung gelegt worden. Denn sowohl klanglich in CD-Einspielung als auch textlich in biografischen Skizzen liegen Materialien vor. Ungenaue und sporadische allerdings, wie die Autorin mit ihrer gründlichen und umfassenden Recherche aufgezeigt hat. Der Komponist Georges Catoire wurde bereits 1926 von Wiktor Beljajew gewürdigt, sein Bild dadurch maßgeblich geprägt. Verschiedentlich kann die Autorin Korrekturen anbringen und liefert zudem ausgedehntes Material zur Korrespondenz u.a. mit Komponisten wie Tschaikowsky wie auch ein vollständiges Werkverzeichnis und Kritiken zu den Aufführungen von Catoires Werken.
Historisch gesehen ist Catoire besonders interessant als Vermittler Wagners in Russland. Mehrere Jahre hat sich der Komponist in dessen Werk vertieft, zu einer Zeit, als Wagner noch nicht akzeptiert war so die Autorin. Catoire war dabei kein Neuerer, sondern eher ein Schmelztiegel verschiedenster Einflüsse, die gleichermaßen an Fauré und Chopin erinnern, ohne dabei als flache Imitationen zu erscheinen.
1861 geboren und 1926 gestorben, ist Catoire ein Zeitgenosse Debussys. Er verfolgte einen individuellen spätromantischen Stil, den er bis zu seinem Tod nicht aufgab. Als Sohn einer aus Frankreich immigrierten Adelsfamilie und von Haus aus der Wirtschaftselite Russlands zuzurechnen, war der äußerst selbstkritische und von Zweifeln am eigenen Schaffen geplagte Komponist (einige Äußerungen erinnern massiv an Tschaikowsky) erst spät zur musikalischen Ausbildung gekommen, die er in Moskau und Berlin absolvierte. Sein Werk wurde von einflussreichen Kollegen und Kritikern geschätzt. Dass es gegenwärtig kaum zu hören ist, bedauert die Autorin, die als Pianistin und Kammermusikerin zur Präsenz von Catoire beitragen kann.
Spannend klingen die Äußerungen der Zeitgenossen sowie die ansatzweise vorgeführte Analyse zur Violinsonate op. 20, einem Hauptwerk seiner Kammermusik. Die Autorin zeichnet auf der Basis einer Vielzahl hochinteressanter Dokumente, die sie vor allem in Moskau recherchiert hat, das Bild eines höchst feinsinnigen und feinfühligen Menschen, das sich in dessen Musik widerspiegelt. Der Schwerpunkt seines Schaffens lag auf der Instrumentalmusik, darunter eine Sinfonie und ein Klavierkonzert, verschiedene Kammermusiken und eine Kantate Meerjungfrau (Rusalka). Die Musikwelt darf gespannt sein, ob die Forschung ihren Niederschlag beim Musikbetrieb findet.
Steffen A. Schmidt


